Die politische Abhängigkeit von großen Unternehmen ist mittlerweile so stark, dass die gewählten Repräsentant*innen kaum gegen den Druck des Lobbyismus ankommen. Wir brauchen daher ausgeloste Bürger*innenräte: Auf nationaler Ebene müssen sie die Ziele unseres Wirtschaftens festlegen, auf kommunaler Ebene sollen die Bürger*innen partizipative Bürger*innenhaushalte aufstellen, die über kommunales Budget entscheiden.

Diese Räte müssen interdisziplinär beraten werden durch Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Die ausgelosten Bürger*innen müssen für diese demokratische Teilhabe Zeit eingeräumt bekommen. Auf kommunaler Ebene über eine Aufwandsentschädigung, auf nationaler Ebene über die bezahlte Freistellung am Arbeitsplatz. Die französischen oder irischen Bürger*innenräte können dabei als Beispiel dienen. Folgende Fragen sollten als erstes in Bürger*innenräten beraten werden:

Nach welchen Zielen wollen wir wirtschaften?

  • Wohlstand kann auf staatlicher Ebene qualitativ gemessen werden. Die Politik richtet sich dann nicht mehr an materiellem Wachstum, sondern an qualitativem Wohlstand aus, z.B. könnte das Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum (StabG) umgeschrieben werden in ein Gesetz für Stabilität und Nachhaltigkeit (siehe hier) und das Bruttoinlandsprodukt durch einen am Gemeinsinn orientierten Wohlstandsindikator ersetzt werden.
  • Soziale-ökologische Indikatoren in die Unternehmensbilanzen gleichberechtigt neben finanziellen Indikatoren aufnehmen und Gemeinwohlorientierung fördern, wie es die CSR-Richtlinie der EU für kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden vorschreibt. Diese kann ausgeweitet werden und sich z.B. an den Vorschlägen der Gemeinwohl-Ökonomie orientieren.
  • Private und staatliche Investitionen und Finanzanlagen nach sozialen und ökologischen Kriterien ausrichten (siehe auch European Taxonomy for sustainable finance).
  • Staatliche Ausschreibungen und Beschaffung können sich an sozialen und ökologischen Kriterien ausrichten (Green Public Procurement) statt am Maß des günstigsten Preises, wie es das neue Berliner Ausschreibe- und Vergabegesetz schon vormacht.

Wie sieht eine sozial gerechte Gesellschaft aus?

  • Eine Verringerung der Gehaltsspreizung innerhalb der Unternehmen. Momentan verdient eine Führungskraft bis zu 232 Mal mehr als eine Arbeiterin am unteren Ende der Gehaltsspanne (siehe Studie). Ist ein Postvorstandsvorsitzender tatsächlich 230 Mal so produktiv oder systemrelevant wie eine Postbotin, die uns morgens um 5 Uhr die Zeitung bringt?
  • Weniger Arbeit für alle. Vor 100 Jahren haben Menschen im Schnitt 80 Stunden in der Woche gearbeitet. Seit 50 Jahren existiert die 40 Stunden Woche. Jetzt könnten wir auch 30 oder 20 Stunden arbeiten und es würde genug erwirtschaftet, um alle zu versorgen dank höherer Produktivität (siehe hier).
  • Stärkere Besteuerung leistungsloser Einkommen. Wir haben eine immer höhere Vermögenskonzentration in Deutschland. 10% der deutschen Bevölkerung halten 56 % des gesamten Vermögens, während die untere Hälfte nur 1,3 % des Vermögens hält (siehe Studie). Ein Großteil dieses Vermögens ist durch die (Über-)Nutzung von natürlichen Ressourcen und Erbschaften entstanden. Hier kann man umsteuern – und gleichzeitig das Recht erhalten, durch Freibeträge seinen Hinterbliebenen an den Früchten der eigenen Arbeit teilhaben zu lassen.

Wie wirtschaften wir innerhalb der planetaren Grenzen?

  • Wie organisieren wir eine dezentrale Energiewende, an der Bürger*innen finanziell und organisatorisch beteiligt sind?
  • Wir organisieren wir eine Wärmewende, die allen ermöglicht im Winter ein warmes zu Hause zu haben und gleichzeitig die planetaren Grenzen achtet?
  • Wie organisieren wir eine nachhaltige Landnutzung und unsere Ernährung, die momentan stark globalisiert ist und daher etwa 25 % des globalen C02 Ausstoßes ausmacht?
  • Wie schaffen wir die Abkehr von der autogerechten Stadt hin zu einer Verkehrswende, die allen ein mobiles Leben ermöglicht?
  • Wie unterstützen wir die Transformation unserer Industrie hin zu einer elektrifizierten Kreislaufwirtschaft angetrieben durch 100 % Erneuerbare Energien?

Wie organisieren wir den Wandel in unserer Stadt und Region?

  • Kommunen sollten gemeinsam mit den Bürger*innen Klimaschutz-Aktionspläne erarbeiten, in denen klare Ziele zum sozialen, ökologischen und ökonomischen Miteinander festgehalten werden, die im Rahmen des 1,5 Grad Ziels. Dazu brauchen die Kommunen wissenschaftliche und personelle Unterstützung, die von der Bundesebene finanziert wird.
  • An den Zielen, die sich Kommunen setzen, muss der kommunale Haushalt ausgerichtet werden. Der partizipative Bürger*innenhaushalt ist ein Instrument, das Bürger*innen, Stadtvorstand und Verwaltung in einen kontinuierlichen Dialog bringt, Transparenz und Legitimation der Entscheidungen fördert.
  • Ernährungsräte fördern den regionalen Austausch zwischen Handel, Konsum und Produktion in der Ernährungswirtschaft mit den kommunalen oder regionalen politischen Akteuren. Die globale Wertschöpfungskette in der Ernährungswirtschaft ist nicht nachhaltig und anfällig für Schocks und Krisen. Um Ernährungssicherheit, fruchtbare Böden, sauberes Wasser und die regionale Versorgung mit Lebensmitteln zu fördern, braucht es einen regionalen Austausch über die lokale Ernährungswirtschaft